Das Netzwerk Kindertagespflege NRW präsentiert die Auswertung zur Umfrage zu den „Kommunalen Rahmenbedingungen der Kindertagespflege in Nordrhein-Westfalen“.
Film zu den kommunalen Rahmenbedingungen
Ergebnisse der Studie
Die aufgezeigten Fakten offenbaren dringenden Handlungsbedarf – angefangen bei rund 20.000.000 Euro zu Unrecht empfangener Landesmittel in 49 der 88 Jugendamtsbezirke im Betreuungsjahr 2020/2021 bis hin zu jährlichen, finanziellen Differenzen im zweistelligen Bereich für Kindertagespflegepersonen trotz gleicher Leistung.
Quelle: www.netzwerk-ktp-nrw.de
- KiBiz-Verstöße
- Finanzielle Ausgestaltung der Elternbeiträge
- Bezahlung der Kindertagespflegepersonen
- bezahlte Ausfalltage
Mit Stand vom 01.08.2021 haben 49 der 88 Jugendamtsbezirke (rund 56 Prozent) eine oder mehrere KiBiz-Vorgaben zum Erhalt der Kindertagespflegepauschalen gemäß § 24 nicht erfüllt.
In der Praxis bedeutet dies: 49 Kommunen und Kreise haben Landesmittel (finanziert durch Steuergelder) von rund 20.000.000 Euro im Betreuungsjahr 2020/2021 zu Unrecht in Anspruch genommen (ohne Berücksichtigung von Kindern mit Förderbedarf, für welche Kommunen den knapp 3-fachen Satz erhalten). Bei insgesamt 186 Jugendamtsbezirken in NRW, von welchen nur 88 bei der Umfrageauswertung berücksichtigt wurden, erhöht sich diese Summe mit großer Wahrscheinlichkeit entsprechend.
Herr Minister Dr. Stamp äußerte hierzu in seinem Schreiben von September 2020 Folgendes: „Ich bitte um Verständnis, dass das Land aus Rechts- und Kapazitätsgründen keine Möglichkeit hat, eine Rechtsberatung im Einzelfall vorzunehmen und beispielsweise kommunale Richtlinien und Satzungen in der Kindertagespflege auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.“
Wer ist für die Einhaltung der zugehörigen Bedingungen zur Auszahlung von Landesmitteln verantwortlich? Eine Frage, die jeden Steuerzahler und jede Steuerzahlerin in NRW interessieren dürfte.
Wie unsere Umfrage zeigt, entscheidet der Wohnort darüber, wie viel Geld Familien in NRW in frühkindliche Bildung investieren müssen. Ausgehend von einer 45-Stunden-Betreuung unter 3 Jahren in der höchsten Beitragsstufe zahlen Eltern beispielsweise pro Monat in Aachen keinen Elternbeitrag, gefolgt von Langenfeld mit 264 Euro, in Iserlohn 280 Euro bis hin zu 880,40 Euro in Haltern am See, 980 Euro in Mülheim an der Ruhr und den Höchstsatz haben wir in Marl verortet, mit 990,50 Euro monatlich.
Auch wenn sich der monatliche Beitrag am Einkommen der Eltern orientiert, dürfte eine monatliche Differenz in der höchsten Einkommensstufe in Höhe von 990,50 Euro schwer argumentierbar sein. Gerechnet auf ein Jahr bezahlte eine Familie in Marl in der entsprechenden Einkommensstufe mit Stand vom 01.08.2021 somit 11.886 Euro, im Vergleich zu 0 Euro in Aachen.
Auch die Bezahlung der Kindertagespflegepersonen gestaltet sich aufgrund fehlender, gesetzlicher Vorgaben massiv unterschiedlich.
Die Höhe des Sachaufwandes pro Stunde und Kind variiert zwischen 1 Euro in Wülfrath und 2,48 Euro im Ennepe-Ruhr-Kreis (siehe Seite 30).
Die durchschnittliche laufende Geldleistung pro Stunde und Kind (berechnet aus dem Durchschnitt vorhandener Bezahlungsstufen) war mit 3,60 Euro in Lüdenscheid am niedrigsten und mit 6,28 Euro in Iserlohn am höchsten (Sachaufwand und Förderleistung, siehe Seite 29).
Hierbei war im Rahmen der Auswertung festzustellen, dass die laufende Geldleistung mit erhöhter Einwohnerzahl und damit einhergehenden erhöhten Lebenshaltungskosten NICHT höher ausfällt, die Festlegung erscheint willkürlich.
Die durchschnittliche laufende Geldleistung variiert in den Jugendamtsbezirken um bis zu 2,68 Euro pro Stunde und Kind. Eine Bespielrechnung, basierend auf 4,33 Wochen mit 5 Tageskindern, die jeweils 40 Wochenstunden betreut werden, ergibt somit eine Differenz von 27.850,56 Euro Umsatz pro Jahr – wohlgemerkt für die gleiche Leistung.
Was für uns die Frage aufwirft, inwiefern sich solch gravierende Unterschiede im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung noch mit §23 Absatz 2a SGB VIII (die Anerkennung der Förderleistung ist leistungsgerecht auszugestalten) vereinbaren lassen.
Den größten Unterschied bezogen auf alle Fragen haben wir bei Bezahlung von Ausfalltagen der Kindertagespflegepersonen festgestellt.
In 66 Prozent der 88 Jugendamtsbezirke werden betreuungsfreie Tage unterteilt (Urlaub, Krankheit), in 34 Prozent findet keine Unterteilung statt.
In 2 Kommunen (Aachen und Bielefeld) wird kein einziger Ausfalltag bezahlt.
Addiert findet sich das Maximum im Kreis Herford mit 67 bezahlten Ausfalltagen, wobei dies aufgrund einer speziellen Krankheitstageregelung (beliebig viele Krankentage pro Jahr, begrenzt auf maximal bis zu 30 Tage am Stück) in anderen Kommunen noch höher ausfällt (siehe Seite 53).
Es konnte mit Ausnahme von Bielefeld keine höhere laufende Geldleistung in Relation zu weniger oder keinen bezahlten Ausfalltagen festgestellt werden.
Um die Unterschiede zu verdeutlichen, folgt hier ein Rechenbeispiel:
Wir gehen von 5 Tageskindern mit 8 Stunden Betreuung an 5 Tagen pro Woche aus, gerechnet auf 4,33 Wochen pro Monat.
Ausgehend von diesen Arbeitszeiten verdiente eine Kindertagespflegeperson mit Stand vom 01.08.21 in Aachen (mittlere Geldleistung 5,02 Euro pro Stunde und Kind) für die gleiche Arbeit grundsätzlich pro Jahr 8.105,76 Euro weniger als im Kreis Herford (mittlere Geldleistung 5,80 Euro pro Stunde und Kind).
Sollte die Kindertagespflegeperson in Aachen nun auf 67 Ausfalltage im Beispieljahr kommen, ergibt sich ein weiteres potenzielles Minus in Höhe von 13.453,60 Euro pro Jahr und somit im Worst-Case-Szenario eine jährliche Umsatz-Differenz in Höhe von 21.559,36 Euro.
Dieser gravierende Unterschied offenbart den dringenden Handlungsbedarf in Bezug auf bezahlte Ausfalltage der Kindertagespflegepersonen, vor allem in Hinblick auf die pandemische Situation. Akute Erkrankungen führen zu Betreuungsausfällen und in Jugendamtsbezirken mit keinen/wenigen bezahlten Ausfalltagen wird dies auf Dauer zu einer Entziehung der finanziellen Existenzgrundlage vieler Kindertagespflegepersonen und somit zu einem Zusammenbruch des Konstrukts der selbstständigen Kindertagespflege führen, da viele gezwungen sein werden, ihre Tätigkeit in diesem Bereich einzustellen. Dies hätte gravierende Folgen für das Platzangebot in der U3-Betreuung und auf die Erfüllung des Rechtsanspruchs der Eltern durch die Kommunen.
Daher besteht hier dringender Handlungsbedarf durch politische Entscheidungsträger.
Förderung
Die Studie wurde finanziell unterstützt durch die Berufsvereinigung der Kindertagespflegepersonen e.V. und dem Verein Leuchtsterne Dortmund e.V..
Auswertung
Die Auswertung der Daten erfolgte durch das UADS Institut für Umfragen, Analysen und DataScience GmbH in Duisburg von Frau Krumbach und Herrn Hogrefe unter Leitung von Herrn Prof. Dr. Faulbaum.